Wenn in der Presse über die Autonomen geschrieben wird, dann liegt der Fokus zumeist auf gewalttätigem Handeln. Zeitungsberichte und Fernsehbeiträge über die Autonomen kommen nur selten ohne Bilder brennender Barrikaden oder schwarz vermummter DemonstrantInnen aus. Dieses gilt ebenso für die Extremismusforschung (z. B. Pfahl-Traughber 1998; Baron 2011) und die Berichterstattung der Verfassungsschutzämter auf Bundes- und Landesebene – wobei beide Perspektiven sowohl inhaltlich als auch personell nicht immer klar zu unterscheiden sind. Auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung bildet die Militanz der Autonomen oft den Fokus des Interesses, wobei allerdings die situativen, expressiven und symbolischen Aspekte von Militanz hier stärker im Vordergrund stehen (Bock 1989; Busch 1989; Paris 1991; Rucht/Teune 2008; Leach/Haunss 2010; Haunss 2012).
Das Bild des vermummten Kämpfers, das in den Texten aufgerufen und produziert wird, ist mindestens implizit männlich konnotiert. Dieses Bild ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Es verdeckt die tatsächliche demografische Zusammensetzung der Autonomen und es rückt ein recht traditionelles Männlichkeitsbild in den Vordergrund, das nur begrenzt repräsentativ für die Bewegung ist. Das in den Medien präsente Bild verdeckt, dass ein relevanter Teil der AktivistInnen Frauen sind. Auch wenn es keine belastbaren Zahlen über den Frauenanteil bei den Autonomen gibt, kann man wohl davon ausgehen, dass er über 30 und deutlich unter 50 Prozent liegt. So gab es beispielsweise in der Hochzeit der Bewegung in den 1980er und 90er Jahren bei vielen Demonstrationen einen eigenen autonomen Frauenblock, der jeweils immer nur eine Minderheit der an den Demonstrationen teilnehmenden Frauen umfasste. Systematische Zählungen der DemonstrationsteilnehmerInnen liegen für die autonome 1.-Mai-Demonstration 2002 in Berlin vor. Dort schätzten die DemonstrationsbeobachterInnen den Frauenanteil auf deutlich über 30 Prozent (Lehmann/Meyerhöfer 2003).
Die zweite Problematik ist deutlich komplexer. Auch darüber, welche Geschlechterbilder in der autonomen Bewegung existieren und welche davon in verschiedenen Kontexten oder zu verschiedenen Zeitpunkten dominant sind, gibt es praktisch keine gesicherten Erkenntnisse. Zwar wird sowohl in den Reflexionen über die Bewegung, die von (ehemaligen) AktivistInnen verfasst wurden (Agentur Bilwet 1991; Geronimo u. a. 1992; Kongreßlesebuchgruppe 1995; Institut für Elbvertiefung, Bewegungslehre und Politikberatung 1996; Geronimo 1997, 2002; A.G. Grauwacke 2003) als auch in den wissenschaftlichen Arbeiten über die Autonomen (Katsiaficas 1997; Schultze/Gross 1997; Schwarzmeier 1999; Haunss 2004; Golova 2011) deutlich, dass Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern ein zentrales Thema bewegungsinterner Konflikte waren und dass in diesem Kontext tradierte Geschlechterbilder immer wieder infrage gestellt worden sind. Welche alternativen Geschlechterbilder dann aber angeboten werden, wurde bisher noch nicht untersucht.
In diesem Beitrag soll eine erste Annäherung an diesen Komplex versucht werden. Es wird gezeigt, dass die Medienbilder nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, aber dass in der Bewegung darüber hinaus eine größere Bandbreite alternativer Männlichkeitsbilder existiert, die teilweise das im vermummten Kämpfer eingeschriebene Männerbild direkt infrage stellt. Als Ausgangsmaterial dienen die visuellen Selbstrepräsentationen der Bewegung auf ihren Plakaten. Anhand einer Auswahl dieser Plakate soll diskutiert werden, welche Männlichkeitsbilder die autonome Bewegung in diesen symbolischen Medien der Binnen- und Außenkommunikation anbietet. Dabei wird auf eine ca. 10.000 politische Poster umfassende Sammlung zurückgegriffen, die Poster linker sozialer Bewegungen in Deutschland seit den 1960er Jahren umfasst und die Grundlage für zwei Bücher über die Poster der Autonomen (hks 13 1999) und – allgemeiner – „unkontrollierter” sozialer Bewegungen (hks 13 2001) bildete.
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The complete article is published as: Haunss, Sebastian (2014), “Wie male ich einen Autonomen? Männlichkeitsbilder auf Plakaten der autonomen Bewegung”, in: Klaus Farin and Kurt Möller (eds.), Kerl sein. Kulturelle Szenen und Praktiken von Jungen, Berlin: Archiv der Jugendbewegungen, pp. 183–197.